Nach einjähriger Reisezeit, im Jahr 1956, machte ich auf meiner Tippelei als fremder Rolandsbruder Station in Basel. Beim Herbergsvater Lori, dem Wirt der „Linde“ in der Rheingasse, wurde ich zünftig ausgeschenkt und von den anwesenden Rolandsbrüdern mit „Hallo“ begrüßt.

Da meine Schuhsohlen von der Tippelei schon Löcher hatten, musste ich mich eiligst nach Arbeit umsehen. Dies war zu der Zeit noch mit Schwierigkeiten verbunden. So brauchte man erst einmal eine kantonale Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Die Baufirma Stamm hatte hierbei aber schon Erfahrung und wickelte alles zu meiner Zufriedenheit ab. Wir hatten eine zünftige Gesellenplatte in Reinach bei Basel.

Obwohl es ein Café war und dort kein Alkohol ausgeschenkt wurde, fühlten wir uns sehr wohl. Am ersten Arbeitstag war Betonschalung herzustellen. Auf einer Baustelle direkt an der französischen Grenze wurde ich von den rechtschaffenen fremden Zimmerleuten Günther Busch und Karl-Heinz Schneider begrüßt. Das war mein erster Kontakt mit Gesellen des „schwarzen“ Schachtes, aus der dann Freundschaft werden sollte. Auch der Polier war uns sehr zugetan. So ließen wir uns des Öfteren von ihm, da die Mittagspause 2 Stunden dauerte, aus einer Gaststätte in Frankreich abholen.

Er musste jedoch vorher noch eine Flasche Rotwein zahlen, was er gern tat. Denn als Baumensch war auch er kein Kostverächter, zumal es damals noch kein Alkoholverbot auf dem Bau gab. Mit Karl-Heinz Schneider unternahm ich sehr viel. So trafen wir uns fast regelmäßig Sonntag früh zum Frühschoppen oder zum Baden. Das ging so weit, dass wir Pläne zum Abreisen schmiedeten. Als dann die Zeit ran kam, musste er mir leider gestehen, dass er von seiner Gesellschaft in Basel Abreiseverbot erhalten hatte. So musste ich annehmen, dass ein gemeinsames Reisen von „Blauen“ und „Schwarzen“ nicht erwünscht war. Ich hatte aber Jahre später, auch zu DDR-Zeiten, noch Kontakt mit beiden. Wir tauschten dann immer unsere Erinnerungen aus.

Da mich nun bereits das Reisefieber gepackt hatte, reiste ich Mitte Juni mit Siegfried Petatz, einem fremden Rolandsbruder aus Hoyerswerda, aus Basel ab in Richtung Zürich. Am schönen Zürichsee verbrachten wir einige Tage mit Baden und drei schönen Italienerinnen. Allerdings erwies sich die Dritte immer als Störfaktor für unser Vorhaben. Eines Tages lernten wir einen Margarinevertreter kennen, der auf seiner Geschäftsreise Hotels zwischen Zürich und Chur besuchte. Wir waren fast eine Woche seine Gäste, rund um Zürich und in den Bergen.

 

Eine Etappe meiner Wanderschaft vor fast 60 Jahren

 

Nach einigen Tagen erreichten wir die schöne Stadt Chur im Engadin. Dort wurde unsere Reisekasse einer gründlichen Inventur unterzogen und wir beschlossen, sie in einem gemütlichen Gasthaus etwas zu erleichtern. Nachts schliefen wir allerdings in den Talhütten der Senner, auf frischem Heu gebettet. Weiter ging es dann durch das Räte-Romanische Engadin in Richtung Julier-Pass.

Fühlten wir uns in den Bergen schon sehr wohl, so war der Pass mit seiner 2284 m Höhe ein wirklicher Höhepunkt auf dieser Tippelei. Zum Platte reisen war es allerdings in dieser Höhenluft zu kalt, denn wir kannten zu unserer Reisezeit keinen Schlafsack. So tippelten wir weiter Richtung St. Moritz, bis wir spät nachts wieder Heuhaufen entdeckten. St Moritz war bereits in den 50er Jahren das Urlaubsparadies der oberen Schicht, daher ließen wir den Ort links liegen und liefen immer an Flüssen und kleinen Seen entlang, Richtung Italien.

 

Die fremden Rolandsbrüder Siegfried Petatz und Werner Kirscht in den Schweizer Alpen bei Chur.

Die fremden Rolandsbrüder Siegfried Petatz und Werner Kirscht in den Schweizer Alpen bei Chur.

 

Am 13. Juli erreichten wir dann die Grenze. Leider hatten wir große Schwierigkeiten mit der Sprache, da unser gebrochenes italienisch schwer verstanden wurde. In Dongo am Comersee mussten wir unbedingt mal den italienischen Wein probieren. Zu unserer Überraschung kostete ein Glas „Roter“ nur 13 Pfennige. Das hatte natürlich Folgen. Zu später Stunde nahm uns dann ein Bauernsohn mit nach Hause und ließ uns in der Diele schlafen. Morgens erwachte ich durch das kräftige Schimpfen meines Kamerads, der durch Schmerzen an den Beinen geweckt worden war. Die Ursache war schnell gefunden. Es hatte sich zu seinem Unmut einer der Igel, die als Haustiere gehalten wurden, des Nachts in seiner Schlaghose verkrochen und dieses Ärgernis verursacht.

Nach dieser spaßigen Einlage und einem guten Frühstück zogen wir weiter am Comersee entlang in Richtung Lugano. Als wir im Wasser eine Schlange schwimmen sahen, verging uns allerdings der Badespaß. Da es Ende Juli wurde und die Reisekasse nicht mehr viel hergab, wanderten wir wieder gen Norden in Richtung Schweiz. Denn in Italien brummt das Schmalmachen nicht und die Ämter wissen nichts von armen Wandergesellen. In der Schweiz ist das anders, dort gab es damals schon 20 Franken von der Gewerkschaft. Weiter ging es Richtung Bellinzona-Airolo die Passstraße hinauf zum St. Gotthard.

Da aber noch kein Tunnel vorhanden war, ging der Hauptverkehr Richtung Italien über diesen Pass. Zurückblickend auf die Serpentinen, wurde uns wieder bewusst, wie klein der Mensch doch ist und welch ein Wunder mit unserer Welt geschaffen wurde. In der Nähe von Luzern bekamen wir dann endlich Arbeit und schlossen uns der ehrbaren Gesellschaft zu Reiden an, wo wir bei den anwesenden Rolandsbrüdern herzlich willkommen waren. Im Gasthaus „Sonne“ machten wir es uns bequem und ich sparte auf mein Bergfest, was dann auch nach 3 Wochen stattfand.

Nach 45 Jahren bin ich auf dieser Route, anhand meines Wanderbuchs, mit meiner Frau entlang gefahren und vieles kam wieder ins Gedächtnis zurück. Deshalb kam ich auf die Idee diesen Bericht zu schreiben. Sogar das Gasthaus in Reiden bei Luzern, wo wir das Buch hoch hatten, existierte noch und am Stammtisch von damals schmeckte der Kaffee vorzüglich. Mein Blick ging immer zur Küchentür, ob die ehemalige Herbergsmutter hereinkommt, aber leider war sie bereits verstorben. Gern denke ich an meine Reisezeit im Rolandschacht zurück und möchte sie auf keinen Fall missen.