Mit dieser Frage zog der fremde Rolandsbruder Roland Fenske auf dem Kongress des Rolandschachtes 2017 in Stuttgart umher. Ein Begegnungspavillon gäbe es zu bauen, für die Deutsche Humboldt-Schule in São Paulo.

Wir kommen ins Gespräch. Sechs Wochen arbeiten und ein paar Wochen Reisen. Flug und Taschengeld bezahlt. Das wäre der Deal. Warum nicht? Eine Reise auf den südamerikanischen Kontinent und keine weiteren Reisekosten.

Im Herbst 2017 machen wir unser Gepäck auslandsfertig. Dann die Enttäuschung. Eine Woche vor dem Flug bekommen wir die Nachricht, dass aufgrund von Geldmangel das Projekt im Schulverein leider nicht genehmigt wurde.

Naja, der Fremde weiß: Wo sich Türen schließen, gehen auch welche auf und Pläne sind sowieso dazu da um über den Haufen geworfen zu werden. Also das Projekt Brasilien zu den Akten gelegt und die Straße die Füße weiterleiten lassen.

Unerwartet kommt das Thema dann nochmal zur Sprache. Wieder ist es der Rolandsbruder Roland der an mich herantritt. „Ich habe ein neues Projekt.“ Ein japanisches Haus soll es diesmal sein. Der Deal, der gleiche wie beim letzten Mal.

Abflug 21. Januar 2018.

Und diesmal klappt es auch, an besagtem Wintertag steigen wir bei ungefähr 30°C in Rio de Janeiro aus dem Flugzeug. Unser Gastgeber Alfred nimmt uns in Empfang und es geht auf den Weg zu seinem Haus. Nochmal zweieinhalb Stunden in die Berge oberhalb von Rio.

Schon auf der Fahrt fällt mir das auf, was für den Rest der Reise ein immer wiederkehrendes Element sein wird. Die Nähe zwischen Arm und Reich. Die Nähe zwischen nagelneuen Shell-Tankstellen oder Bürogebäuden mit Glasfassaden auf der einen Straßenseite und in der schnelle, teilweise über Nacht hochgezogene Bauten auf der anderen. Der erfolgreiche Bänker oder Manager auf der einen, der in Armut lebende Straßenhändler oder Bettler auf der anderen Seite. Und gleichzeitig die Freude mit der einem trotzdem alle Menschen begegnen. Ein Lächeln auf den Lippen und leichten Schwung in der Hüfte, wenn irgendwo Musik läuft.

Doch zur Baustelle. Der Bauauftrag ist ein Haus mit japanischen Einflüssen in Fachwerkbauweise.

Rolandschacht Reisebericht Brasilien

Das Buch welches uns zur Verfügung steht, beschäftigt sich mit dem japanischen Kaiserpalast. Hier wurden fast ausschließlich Fußwalmdächer verwendet. So soll es sein. Die in Japan oft verwendeten Papierwände sind im regnerischen Brasilien keine Option. Es müssen also feste Wände her. Wir können also hier auf klassische Fachwerkbauweisen zurückgreifen, die wir kennen. Als Dachhaut wurden am Kaiserpalast Holzschindeln verwendet, auch dieses Detail wollen wir umsetzen.

Das Holz, mit dem wir arbeiten heißt „Macaranduba“. Ein ziemlich hartes Rotholz, das extrem stabil und auch schwer ist und dazu noch den entscheidenden Vorteil hat, dass die Termiten es nicht mögen.

Auf der Baustelle finden wir vier Pfosten 20×20 cm in Betonfundamenten vor. Direkt in den Zement eingelassen. Brasilianischer Stil.

Wir arbeiten mit der Kettensäge und Stecheisen zwei Unterzüge ein und legen darauf unsere Balkenlage für den Boden auf. Einige Kopfbänder angebracht, die von den Brasilianern mit Interesse untersucht werden, und auf geht es zum Abbund.

Zwar haben wir 12×6 cm bestellt, die Maße schwanken allerdings um bis zu 2,5 cm. Pakete binden und gemeinsam bearbeiten, im Prinzip unmöglich. Schön alles der Reihe nach anreißen und ausarbeiten.

Da wir bei der Plattform bereits feststellen mussten, dass die Schrauben bei weitem nicht mit dem europäischen Standard vergleichbar sind, versuchen wir so viele Verbindungen wie möglich traditionell auszuführen. Das braucht zwar Zeit beim Abbund und zieht einiges an Stecheisenschärfen nach sich, sorgt aber für weniger Komplikationen beim Aufrichten.

Zwei Wochen legen wir so Hölzer von einem auf den anderen Haufen.

Abends lauschen wir beim Feierabendbier den Grillen und Zikaden im Urwald um uns herum.

 

Nach etwa drei Wochen machen wir einen kleinen Ausflug auf den Straßenkarneval in Rio de Janeiro. Totaler Kulturschock nach der Zeit im Dschungel. Auf einmal wieder Großstadt mit zehntausenden Menschen um uns herum. Und die Kluft tut ihr übriges um es zu einer schweißtreibenden Veranstaltung werden zu lassen. Aber zum Glück gibt es an jeder Ecke fliegende Händler, bei denen man sich ein Dosenbier zum benetzen der Kehle erstehen kann. Dann kann man auch fröhlich die vielen Menschen, die tanzend und lachend durch die Straßen ziehen, beobachten und den Kindern erzählen, dass man kein „Magiquo“ (Magier) ist. Enttäuschung in vielen Kinderaugen, wo wir doch so eindeutig Zaubererhüte tragen.

Wir werden zum ersten Mal darauf aufmerksam, dass viele Europäer auf der Suche nach leichten Bekanntschaften nach Brasilien reisen. Oft werden uns eben solche angeboten, teilweise auf eine unangenehme und auch penetrante Art, die uns beiden immer wieder bitter Aufstoßen wird. Viele junge, männliche Brasilianer bekommen eine Provison wenn sie zahlungskräftige Männer an ihre weiblichen Bekannten vermitteln.

Wieder zurück im Dschungel stürzen wir uns wieder in die Arbeit. Bald können wir die Wände aufrichten. Da die Hölzer nicht nur Probleme mit der Maßhaltigkeit haben, sondern teilweise auch noch ziemlich verzogen sind, ist das Aufrichten eine Aufgabe die viele Spanngurte, Zwingen und wohldosierte Gewalt erfordert.

Nach dem Richten der Firstpfette können wir mit dem Richten der Sparren beginnen. 45° Dachneigung sollen es werden, damit im Dachstuhl Platz für einen Schafboden ist. Das eine geeignete Dachneigung für ein Holzschindeldach.

Das Auflegen der Sparren entwickelt sich bedingt durch die Schrauben zu einem Geduldsspiel. Wir gegen die Schrauben – aber es gelingt, mit zwei Verlusten.

Bis jetzt konnten wir alles soweit zeichnen, berechnen, anreißen und ausarbeiten. Doch nun geht es an die Walme. Der Bauherr möchte sie gerne ungleich haben. Auf der vorderen Seite höher angesetzt auf der hinteren Seite tiefer.

Es artet in ein komplettes Luftschiften aus. Anhalten, anreißen, ausarbeiten, wieder anhalten bis es passt. Dreieinhalb Arbeitstage verbrauchen wir für die beiden Walmdächer.

In der letzten Woche bringen wir noch ein paar Dachlatten auf und befestigen die ersten Schindeln auf dem Dach.

So können wir am letzten Abend ein kleines aber feines und zünftiges Richtfest abhalten.

Das Glas ist im Grund zerschellt und uns ruft die Straße. Nach São Paulo geht es zuerst. Wir haben während der Arbeit die Humboldt-Schule kontaktiert und sie haben uns eingeladen ein paar Tage bei ihnen an die Schule zu kommen.

Mit einem Nachtbus kommen wir morgens um 5:30 Uhr am Busbahnhof São Paulo an, werden dort vom Fahrer der Schule abgeholt und direkt ins Schulgebäude verfrachtet.

Nach ein paar Kaffee setzen uns die Direktoren vor eine Schulklasse: „Jetzt erzählt doch mal was von Wanderschaft.“ Und das ganze ohne Frühstück. Dazu sitzen wir vor einer 9. Klasse in der sich jeder einzelne geniert, etwas Falsches zu sagen. Das Gespräch mit der Klasse ist demzufolge ziemlich zäh.

Die folgenden Klassen kriegen wir schneller weich, auch weil wir uns besser aufeinander eingespielt haben.

So stehen wir die ersten zwei Tage immer wieder vor neuen Schulklassen verschiedenen Jahrgangs, lassen sie immer von neuem Raten warum wir uns wohl im heißen Brasilien in der dicken Kluft herumtreiben.

In den Pausen und am Nachmittag wird viel über den eingangs erwähnten Begegnungspavillon gesprochen. Denn die Direktoren der Schule haben dieses Projekt immer noch im Hinterkopf. Vielleicht ergibt sich da in den nächsten Jahren für bis zu vier Fremde die Möglichkeit ein paar Wochen in der größten Metropole Südamerikas zu arbeiten, der Grundstein ist gelegt.

Am dritten Tag statten wir dem deutschen Konsulat einen Besuch ab und streifen danach noch ein wenig durch São Paulo‘s Innenstadt. Oder vielmehr einen der diversen Innenstadtteile dieses Riesen von einer Stadt.

An unserem letzten Tag hier begleiten wir einen ehemaligen Schüler der Schule, der uns einiges in São Paulo zeigt. Am Nachmittag biegt er an einer Straßenecke ab und wir sind auf einmal in der größten Favela des südamerikanischen Kontinents. Der Teil einer brasilianischen Stadt vor dem einen alle warnen. Die Touristenführer, die Mitarbeiter des Konsulats und auch die Einheimischen.

Unser Begleiter lächelt verschmitzt: „Am Tag ist es hier auch nicht gefährlicher als anderswo, wir machen nur die Scheiben herunter, damit man sieht, dass wir keine Polizisten sind.“

Hier sieht es noch zusammengewürfelter aus als in anderen Städten in denen wir bisher waren. Ohne Rücksicht auf Straßen, Wege oder gar andere Häuser baut hier jeder wie er kann und wo er kann. Zwischen den Gebäuden und Hütten sind kreuz und quer Stromleitungen gezogen und doch wirkt das Straßenbild eher wie eine kleine italienische Vorstadt. Es riecht nach Grillfleisch und Kloake, überall sind Stände und kleine Läden. Die Menschen auf der Straße lachen und gehen ihren Geschäften nach wie überall sonst auch. Von der lebensfeindlichen Umgebung sehen wir bei unserem kleinen Einblick nichts. „Aber es ist ja auch Tag“.

Von São Paulo geht es weiter nach Rolândia. Eine Stadt die vorwiegend von deutschen Auswanderern besiedelt wurde und seit 1957 eine originalgetreue Kopie des Bremer Rolands in der Stadt hat.

Da uns die touristischen Reiseziele wie die Wasserfälle „Foz de Iguaçu“ nicht reizen, gibt uns dieser Roland, eine von vier Repliken des Namensgebers des Rolandschachtes in Bremen, ein gutes Reiseziel.

Am Rande des Bundesstaates Paraná ist Rolândia, wie so viele Teile von Brasilien, ehemaliges Kaffeeanbaugebiet. Wir kommen für ein paar Tage bei dem Sohn einer Schweizer Familie unter die anfangs des 20 Jhd. Ausgewandert ist. Nach einem Besuch beim Bürgermeister und Honorarkonsul von Rolândia geht es ab auf die Straße. Unterwegs sein wie wir es aus Deutschland kennen.

Wir müssen leider schnell feststellen, dass das Trampen in hier in Kluft beinahe unmöglich ist. Viele der Brasilianer halten uns entweder für Missionare oder Angehörige einer Sekte.

Brasilien hat jedoch in Ermangelung eines flächendeckenden Zugnetzes ein gutes Fernbusnetz, welches wir die nächsten Wochen ausgiebig nutzen.

Zwischen diesen Städten sehen wir die Ergebnisse von jahrzehntelanger Ausbeutung des Bodens.

Als die europäischen Siedler nach Brasilien kamen, begannen sie den üppigen Urwald zu Brandroden um Platz für den Kaffeeanbau zu machen. Da man hier das ganze Jahr anbauen kann, war der ohnehin recht karge Boden bald zu ausgelaugt um Kaffee anzubauen. Die Bauern mussten auf Soja, Zuckerrohr und Mais umsteigen. Doch inzwischen gibt der Boden teilweise auch das nicht mehr her. So sehen wir vom Busfenster größtenteils Monokulturen unterbrochen nur von Brachflächen aus roter Erde und Staub. Staub der uns auch in den kleinen Ortschaften an jeder Ecke begegnet. Er gehört zum Straßenbild. Genauso wie die kleinen Straßenkneipen oder Kioske. Vor denen zu jeder Tageszeit einige Leute sitzen und sich Bier aus Flaschenkühlern teilen.

Hier kommen wir schnell und einfach ins Gespräch. Obwohl wir kein Portugiesisch sprechen und die meisten Brasilianer kein Englisch, geschweige denn Deutsch sprechen finden wir immer eine Form der Kommunikation. Manchmal findet sich dann doch jemand der Englisch spricht. An einem Abend lernen wir bei ebenso einer Gelegenheit einen jungen Farmer kennen, der uns zu sich nach Hause einlädt. Wir nehmen an und nach einem lustigen Abend landen wir in einem brasilianischen Stadthaus, von hoher Mauer und Stacheldraht umzäunt. „Muss man hier haben“ gibt uns unser Gastgeber zu verstehen. Ebenso wie die eindrucksvolle Flinte neben seinem Bett, gehört der Zaun zum Sicherheitsgefühl der Brasilianer. Kein Wunder in einer Gegend in der drei Polizisten auf 12000 Einwohner kommen und die Polizei sich erst genötigt sieht gegen Einbruchswellen vorzugehen, wenn jemand von den Einbrechern erschossen wird.

So ziehen wir einige Tage weiter. Es ist schwierig wirklich schöne Ecken zu finden. Oft ist von der ursprünglichen Natur nichts mehr über. Und die Städte so jung, dass es noch nichts zu bestaunen gibt. Wir kommen dann schließlich in die Gemeinde „Brotas“ in der noch viele Teile des Regenwaldes erhalten oder renaturiert sind. Es handelt sich um ein Naherholungsgebiet für die Oberschicht aus São Paulo und die diversen Wasserfälle, für welche die Gegend so berühmt ist sind hinter Zäunen versteckt. Nur Geld gewährt den Zutritt. Wir lernen zwei junge Brasilianerinnen kennen, die in einem dieser Resorts arbeiten und sich rührend darum kümmern, dass wir noch auf den kleinen Campingplatz am See gelassen werden.

Wir sind alleine auf dem Platz. Direkt an einem, für hiesige Verhältnisse, sauberen See.

Den Abend verbringen wir in den kleinen Straßenkneipen im nahegelegenen Ort. Auch hier das allgemeine Bild, offene Gesichter, Interesse und Lachen. Sobald klar ist, dass wir keine Missionare sind, nehmen uns direkt zwei Männer an die Hand und spielen den Abend über die Kneipenguides. Ein paar Brocken portugiesisch haben wir inzwischen gelernt und können grob erzählen was wir machen und wo wir herkommen. Müde fallen wir später ins Bett.

Früher als geplant entscheiden wir am Morgen an dieser Stelle unsere kleine Reise zu beenden. Wir haben keine Lust mehr uns anzusehen welche Zerstörung erst die Europäer und nun die Brasilianer selber diesem Land antun. Uns reizt die Bedachung des gebauten Hauses noch ein wenig. Wir machen uns also auf den Weg zurück in den Dschungel, in die ursprüngliche Natur die wir in den Wochen des Arbeitens dort schätzen gelernt haben.

Die letzten zwei Wochen bevor unser Flug zurückgeht, verbringen wir viel in der Hängematte und genießen den ausklingenden brasilianischen Sommer.

Dabei beginnen wir mit vier bis sechs Zentimeter breiten Schindeln das Dach unseres Neubaus zu schließen. Sehr viel Kleinarbeit.

Wir treiben uns noch im Dschungel herum, ernten Bananen und suchen Ananas, leider ohne Erfolg.

Nach diesem kleinen Urlaub, am Ende eines dann doch recht arbeitsreichen Winters geht es am 31. März wieder auf den Flughafen von Rio de Janeiro. 24 Stunden später, inklusive eines siebenstündigen Aufenthaltes in Amsterdams Innenstadt und Kneipen, landen wir wieder im kühlen Frankfurt.

Als reines Reiseland gestaltet sich Brasilien für den Wandergesellen eher schwierig. Vorwärtskommen ist ohne Geld im Prinzip nicht möglich und selbst zu Fuß hat man Probleme einen Weg zu finden den man gemütlich entlangtippeln kann.

Demgegenüber stehen die vielen offenen Begegnungen, die man dort machen kann. Oft wird man angesprochen, unterstützt und eingeladen.

Unserer Meinung ist Brasilien durchaus eine Reise wert und wird auf jeden Fall ein Highlight unserer Tippelei bleiben. Wir empfehlen auf jeden Fall auch dort zu arbeiten. Die Brasilianer haben zwar selber keine besonders große Baukultur, schätzen aber trotzdem versierte Handwerker und ihre Arbeit.

Jascha Paul, fremder Rolandsbruder